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Beitrag vom 03.03.2005
World Women Work 2005 - Gisela Anna Erler
AVIVA-Redaktion
Interview mit Gisela Anna Erler, Gründerin und Geschäftsführerin, pme Familienservice GmbH, Berlin.
AVIVA-Berlin: Mit welchen Erwartungen an die Konferenz sind Sie gekommen?
Gisela Anna Erler: Ja, wenn Sie es ganz ehrlich hören wollen, so hatte ich die Sorge, dass sich Vieles wiederholt, dass man versucht, eine Menge prominenter Frauen zur Stärkung des Selbstwertgefühls aus aller Welt herbeizuzitieren, die dann nicht erscheinen. Vielleicht trügt das, aber dadurch, dass die Podiumsdiskussion so international aufgestellt war und andere Aspekte hereinbrachte, habe ich jetzt den Eindruck, dass sich auch die Diskussionen im Publikum mit den ein wenig begrenzten Fragestellungen, die ich bisher so wahrgenommen habe, verändert haben.
Mein Eindruck war, dass die Frauen, die aus dem Publikum gesprochen haben, mit einem sehr weiten Blick gefragt haben, "Wohin gehen wir und wie verändert sich unsere Gesellschaft?", "Was ist unser Part darin?" - ohne diesen "Jammerblick, von dem die Präsidentin des "World-Women-Summit" gesprochen hat.
Ohne dass man jetzt in einen künstlichen Optimismus verfällt - wir scheinen uns in einer etwas dynamischeren Weltperspektive einzuordnen und da sind wir natürlich sehr zurück in Deutschland. Man kann daraus aber auch Kraft für Perspektiven ziehen, die wir ganz konkret haben können.
AVIVA-Berlin: Natürlich war das bei dem Motto der diesjährigen Konferenz "Wandel als Chance" auch schon so angelegt, dass man durchaus mehr Optimismus versprüht.
Gisela Anna Erler: Also für Deutschland ist die ungelöste Frauen- und im weitesten Sinne Familienfragestellung "Wie wird Reproduktion organisiert?" mit Schuld an unserer Wachstumsmisere. Weil wir z.B. ein zurückgebliebenes Familienweltbild haben, haben wir nicht nur keine Kinder, sondern auch zurückgebliebene Schulen, und das setzt sich dann fort in den Universitäten. Man denkt in Deutschland allgemein immer noch: "Am besten tun es die Muttis und die können das auch alles".
Dass die Gesellschaft der Zukunft von Beruflichkeit und Professionalität geprägt ist und dass Kindererziehung heute im Zusammenleben aller Menschen daraus besteht, dass zwei oder fünf Individuen sich begegnen, aber dass da doch ständig Wissensbestandteile und Unterstützung von außen vom Zahnarzt, über den Psychologen bis zum neuen MP3-Player läuft und das Gefühl stabilisiert, ich glaube, das ist dieses neue offene Denken, das wir brauchen. Also nicht, "hier die Familie und darin die kleine Frau oder der kleine Mann", sondern "wir alle als Teile eines sehr großen dynamischen Systems".
Ich hoffe, dass diese Konferenz es schafft, die Frauen mehr auf diesen Gedanken einzuschwören. Wir sind Akteurinnen in einem dynamischen System.
AVIVA-Berlin: Auf der politischen Ebene hieße das, Frau Bulmahn und Frau Schmidt müssten enger zusammenarbeiten?
Gisela Anna Erler: Ja, ganz sicher, der Weltgeist wird sie dazu zwingen. Sie wissen zumindest, dass das Familien-, Krippen- und letztlich das Schulsystem viel miteinander zu tun haben, und damit ist schon viel gewonnen.
Unser großes Problem sind die z.T. unterschiedlichen Vorstellungen auf Länderebene.
Es gibt in Deutschland schon noch politische Kräfte, die das schädliche Hausfrauenmodell zumindest äußerlich politisch stabilisiert halten würden.
Keine Kinderkrippen, langer Elternurlaub und hohes Familiengeld. Das ist eine Auseinandersetzung, die auch noch nicht abgeschlossen ist.
Die wird zur nächsten Bundestagswahl meiner Ansicht nach wieder hochkommen.
Und wir haben hier ja heute auch angesprochen, dass es hierzulande auch immer möglich ist, die Gesellschaft daran zu spalten, die Frauen und auch die Familien zu verunsichern. Dazu habe ich inzwischen eigentlich eine sehr platte Botschaft: Ich sage, das ist einfach falsch, politisch betrachtet. Natürlich kann eine Frau, die zuhause bleibt auch eine tolle Mutter sein und auch Spaß dabei haben und vielleicht auch ihr Kind erfolgreich erziehen, aber gesellschaftlich ist es für die Frauen, die Kinder, die Männer die Wirtschaft und die Zukunft falsch, wenn wir die Weichen so stellen, dass dies das favorisierte Modell ist und die anderen Modelle dadurch unmöglich werden.
AVIVA-Berlin: Ganz stark spielt dabei die Debatte "Work-Life-Balance" herein. Früher wurde auch in Deutschland noch von "Work-Life-Balance" gesprochen, inzwischen ist es sehr stark reduziert worden auf die Debatte um "work-family-balance". Wie sehen Sie das? Empfinden Sie das als Reduktion und meinen Sie, der Kern der Sache sei damit erfasst?
Gisela Anna Erler: Ich denke, es gibt umgekehrt auch Tendenzen nur von "Diversity" zu reden und nicht so gern über die genannten Themen. Darin spiegelt sich natürlich der scheinbare Konflikt zwischen Frauen mit und ohne Kindern. Ich meine, wir brauchen wirklich beides.
Wir brauchen natürlich eine Balance zwischen einem Privat- und einem Erwerbsleben und so eine gewisse Nachhaltigkeit:
Jede/r, ob nun alleinstehend, oder siebzig Jahre alt oder homosexuell, soll auch die Möglichkeit haben, die menschlichen Beziehungen zu pflegen, die der Mensch in der Regel nun einmal hat.
Es gibt ja nur kurze Phasen im Leben, wo es wirklich etwas bringt und auch Spaß macht 24 Stunden am Tag zu arbeiten. Das ist eine bestimmte Epoche, die den meisten Leuten einen gewissen Adrenalinschub verleiht, aber das begrenzt sich auf zwei, drei oder fünf Jahre. Insgesamt in der Lebensbilanz braucht man eine Balance und die ist natürlich anders, wenn man kleine Kinder mit ihren Anforderungen hat, als wenn man im Alter mit einem Partner lebt. Meine Kinder sind aus dem Haus, jetzt kann ich soviel arbeiten wie nie in meinem Leben.
Die Gesellschaft muss es lernen, Respekt zu haben vor Menschen in unterschiedlichen Situationen, welche ganz individuell sein können und dennoch die Potentiale all dieser Menschen zu nutzen:
Wenn sich jemand beispielsweise entschlossen hat, Verantwortung für ältere Verwandte zu übernehmen, aber auch wenn jemand sich nur weiterbildet, oder in einer Theatergruppe spielt oder ein Ehrenamt betreibt: Das alles ist wichtig für die Gesellschaft. Kinder sind schon sehr wichtig, aber Kultur ist auch wichtig und der soziale Zusammenhalt ebenfalls, den darf man nicht in der Arbeit ersäufen
AVIVA-Berlin: Das ist ein schönes Schlusswort. Vielen Dank, Frau Erler.